Zum Abschluss der diesjährigen Saison des "Salon am ersten Mittwoch" laden wir zu einem Abend mit Kammermusik und Bildender Kunst im beheizten Atelier von Edgar Diehl in der Walkmühle ein.
Das Darmstädter Lysanderquartett um den Bratschisten Wolfram Minn spielt das Streichquartett Nr. 7 in fis-Moll von Dimitri Schostakowitsch und das Streichquartett Nr. 1 in cis-Moll von Erwin Schulhoff.
Minn hatte bereits in den 90er Jahren im Atelier von Edgar Diehl Streichquartette gespielt, da er von der speziellen Akustik dieses Raumes fasziniert war. So gesehen geht die Tradition des Salons in der Walkmühle bereits auf diese Zeit zurück. Edgar Diehls Anliegen ist es, auch jene Menschen an die ernste zeitgenössische Musik heranzuführen, die bisher noch kein Zugang zu ihr hatten. Daher sind und waren musikalische Aufführungen in seinem Atelier auch immer "Gesprächskonzerte", bei denen die Musikwerke begleitend erläutert werden.
Beim Konzert am 5. Oktober werden zwei seltene Stücke aufgeführt, die zwischen Klassik und Neuzeit stehen und damit die Brücke zwischen alter und neuer musikalischer Form schlagen.
Das Kammermusikwerk von Dmitri Schostakowitsch, das sich fast durch seine gesamte Schaffensperiode zieht und insgesamt 15 Streichquartette umfasst, bildet die Entwicklung der sowjetischen Musik im 20. Jahrhundert ab. Dabei sind die frühen Stücke traditioneller, die Späten moderner.
Das Streichquartett Nr. 7 fis-Moll op. 108 (1960) steht in der Mitte dieser Entwicklung und ist für eine Vermittlung tradierter Hörgewohnheiten mit neuen Formen gut geeignet.
Das Streichquartett Nr 1. cis- Moll (1924) von Erwin Schulhoff, das in den 90er Jahren wiederentdeckt wurde, ist stilistisch ähnlich gelagert, hat aber nicht die Schwermut der Schostakowitschen' Quartette, sondern umfasst eine breiten Skala von Ausdrucksmitteln, mit denen es zu Fragen und Spannungen unserer Zeit Stellung nimmt und damit visionär zeitgenössisch ist.
Die Musik wird gesprächsweise von Edgar Diehl erläutert, der gleichzeitig eigene Arbeiten aus neuen Werkzyklen zeigt.
Wir freuen uns auf ihren Besuch! Ihre Gastgeber Edgar Diehl, Peggy Pop, Axel Schweppe und das Team von der Walkmühle.
Gedanken über Erwin Schulhoff's erstes Streichquartett
Von Jakob Schütze, Cellist des Lysander-Ouartettes
Das erste Streichquartett stammt aus dem Jahr 1924. Im zeitlichen Kontext befinden wir uns in einer kunstspartenübergreifenden Blütezeit der Moderne. Als einzelne Beispiele mögen hier der Deutsche Film (Metropolis von Fritz Lang, 1925/26), die Neue Sachlichkeit, Georg Grosz, und Otto Dix dienen, in deren Kreisen sich auch Schulhoff bewegte. Die Vorbereitungen für sein kompositorisches Schaffen erlangte er unter anderem bei Reger. Schulhoff hat sich früh von der kompositorischen Tradition der Spätromantiker frei gemacht. Zu Beginn der 20er Jahre beschäftigt er sich mit Vierteltontechnik, Jazz und ähnlich wie Bartók mit Folklore. Gleichzeitig nimmt er wach die Entwicklung des Dada wahr. Er wird zum Förderer der 2. Wiener Schule um Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern, die zeitgleich in den 20er Jahren die Zwölftontechnik entdeckt und weiter entwickelt hatten.
Betrachtet man unter diesem kunsthistorischen Hintergrund Schulhoffs 1. Streichquartett, stellt man fest, dass es keineswegs zur Avantgarde des damaligen Zeitgeistes gehört. Gleichwohl erlebt man als ausübender Musiker und Hörer den fantastischen handwerklichen Umgang mit den kompositorischen Elementen.
Schulhoff war sich des Klangspektrums der Streichinstrumente sehr bewusst. Er setzte von der Standardklangfarbe des normalen Streichens abweichende, ausgesuchte und definierte Elemente aus dem gesamten Klangfarbenspektrum des begrenzten Inventars, wie sul ponticello, künstliche Flageolets, con sordino (mit Dämpfer), col legno (Schlagen der Bogenstange auf die Saite) und nicht zuletzt pizzicato von Streichinstrumenten ein. Er erzielt damit beispielsweise räumliche Klangflächengeflechte, die als Basis expressiver Soloausflüge einzelner Instrumente dienen. Hier mag die Bekanntschaft zu den Künstlern der neuen Sachlichkeit möglicherweise Pate gestanden haben. An anderer Stelle nutzt er die Schlagtechnken des col legno virtuos wie ein Schlagzeug aus.
Die Dichte der Komposition hält Musiker wie Zuhörer permanent in wachem Atem. Die Dramturgie der vier aufeinanderfolgenden Sätze, wie auch der einzelnen Themenelemente ist so eng verwoben, dass man sich aus dem Bann kaum lösen kann. Trotz der teilweise polyharmonischen und -rythmischen Anlage schneller Sätze kommt Schulhoff den Ausführenden immer durch den Einsatz komplementärer rhythmischer Elemente entgegen: Der Musiker kann so bei hoher technischer Beanspruchung gleichzeitig kontrollieren, ob er sich mit seinen Kollegen zusammen befindet. Jeder Streicher bemerkt bei Komponisten sofort, wenn es sich um ausgemachte Pianisten handelt. Das liegt oft an der pianistisch geprägten Anlage von Werken und äussert sich in ergonomisch unbequemen Phrasen. Davon ist bei Schulhoff nichts zu spüren.
Das 1. Streichquartett folgt dem klassischen viersätzigen Muster. Der langsame Satz am Schluss ist wohl das Zentrum des Quartetts.
Das Presto con fuoco ist gezeichnet von einer stark motorisch angetriebenen, in der Geschwindikeit kaum verfolgbaren Abfolge minimalistisch verwendeter slawischer Melodieelemente, die durch den Einsatz von Quart- und Quintparallelen Volksmusikcharakter erhält. Der Charakter ist explosiv, zuweilen schroff. Gleichzeitig bieten Flageolets (flötenartige Kangfarbe) in einem kurzen Seitenthema sanfte Kontraste.
Im Allegretto con moto fordert Schulhoff, es sei mit grotesker Melancholie zu spielen. Hier finden wir eines der zuvor benannten Klangflächengeflechte, die den Solostimmen Raum für eine klagende volkstümliche Serenade bieten. Auch hier ist der slawische Duktus kaum zu überhören. Das Bratschensolo ist ein wunderbarer Ausbruch aus Minimal-Music-Elementen. Hier wird plötzlich aus Musik akklamatorische Sprache.
Das Allegro giocoso alla Slovacca wird durch die ostinatenhafte Tanzrhythmik bestimmt. Dieser Satz ist am ehesten nach der klassischen Sonatenhauptsatzform (Exposition-Durchführung-Reprise) angelegt.
Das erste Thema wird repräsentiert durch eine rhythmische Introduktion, welche darauf folgend als Basis für die Melodie des Slovakischen Tanzes dient. Das Ende der Exposition wird bestimmt durch einen virtuosen viertaktigen Unisonolauf, welcher sich selbst in der Geschwindigkeit zu überholen scheint. In der Durchführung verarbeitet Schulhoff ganz klassisch das in der Exposition vorgestellte Thema in der 1. Geige im Flageolet. Dabei hört sich die Melodie in der 1. Geige wie gepfiffen an. Bratsche und Cello liefern sich im Mittelteil eine slawische Percussionsession, bevor sie bei stetiger Steigerung der Geschwindigkeit von der 1. Violine zur rythmischen Ordnung gerufen werden. Die Durchführung endet mit rasanten zigeunermusikartigen Sechzehntelläufen durch alle Instrumente von von der 1. Geige bis zum Violoncello auf den tiefsten spielbaren Ton, dem C . Die Reprise gleicht bis auf den rhytmisch und tonal ausgebauten Unisonolauf des Schlusses der Exposition.
Im Andante molto sostenuto, dem 4. Satz baut Schulhoff einen dramatischen Gegensatz zu den vorangegangen Sätzen auf. Er ist der Satzbezeichnung zufolge enorm langsam. Es finden keine abrupten Bewegungen statt, die Zeit scheint aufgelöst. Wieder sucht er eine räumliche Verankerung eines Klangteppichs, auf der er sein 'lyrisch-nocturnoartiges' Thema der Solostimmen platzieren kann. Die 1. Violine hat im Mittelteil zunächst einen emotionalen Ausbruch, der in die Kadenz mündet. Unter Flageolet-Begleitung von Bratsche und Violoncello nimmt die Geige nun das Hauptthema des letzten Satzes wieder auf, das dann in allen vier Stimmen ganz in der Schwere der Spätromantik eines Regers enggeführt wird. Der Satz endet in einer überproportional langen Schlussphase in geheimnisvoller emotionsfreier Stimmung, die einerseits der tonalen Fläche der schnellen Triolen der Bratsche und den Pizzicati des Cellos, andererseits dem leise säuselnden Duo der beiden oberen Streichern zu verdanken ist.